Die Überschrift verrät nichts Gutes: Ich bin nunmehr seit 6 Monaten in Bukoba und habe die Hälfte meines Aufenthaltes erreicht. Es ist wahnsinnig, wie schnell die Zeit hier vergeht. Aufgrund der wirklich beeindruckenden Erlebnisse und Erfahrungen, die ich hier mache, kommt es mir wie ein Viertel der Zeit vor, die ich tatsächlich hier verbracht habe. Bukoba ist, ich habe es schon in anderen Beiträgen geschrieben, mein zweites Zuhause geworden und ich habe mich unglaublich in die Kultur eingelebt und die offene Art der Menschen sehr zu schätzen gelernt. Dasselbe Schicksal teilen viele andere Freiwillige, mit denen wir uns zu einem Zwischenseminar treffen. Das Zwischenseminar ist Teil des Weltwärtsprogrammes und sieht vor, den Aufenthalt und die Erlebnisse nach der Hälfte des Jahres zu reflektieren. Zudem ist es schön, mit den anderen Freiwilligen Erlebnisse auszutauschen. Neben den Freiwilligen von meiner Organisation, dem ASC Göttingen, ist auch die Freiwilligengruppe von der Entsendeorganisation Artefact dabei. Die meisten kenne ich schon und verbringe auch außerhalb des Seminars viel Zeit mit ihnen: Carl aus Biharamulo, David aus Karagwe und noch ein paar mehr. Unser Seminarhotel liegt praktischerweise direkt in Bukoba und somit habe ich es nicht so weit. Gleichzeitig zu meinem Seminar schreibt Gonzaga seine Zwischenprüfungen bei der Unversität und ist die ganze Zeit am Lernen.
Nach dem Seminarstart am Freitag verbringen wir die meiste Zeit unter Bäumen, die uns Schatten spenden, und bei frischer Seeluft im Liegestuhlkreis: Das perfekte Arbeitsklima! Aber selbstverständlich machen wir inhaltlich sehr viel: Wir besprechen unter anderem die Rolle der Freiwilligen und des Freiwilligendienstes allgemein, thematisieren das Thema Rassismus, reflektieren unsere Erlebnisse und bilden Leitziele für die kommenden sechs Monate. Beim Anfertigen eines Stimmungsdiagramm lasse ich noch einmal alle Erlebnisse Revue passieren: Die Anreise, mein erster Workshop, unser aufregender Ausflug an die Küste und auch den Urlaub nach Sansibar. Alle Erlebnisse haben mir auf verschiedene Art und Weise ein Vertrauen zu den Menschen und dem Land gegeben, welches mich einfach sehr sicher fühlen lässt. Sicherlich könnte ich noch ein bisschen mehr in die Kultur eintauchen – das kann man immer – aber: Eine Geschichte, die ich noch nicht beschrieben habe, nehme ich als Beispiel: Als wir auf dem Weg ins Kemondo-Waisenhaus waren, habe ich abends mein IPod verloren. Als ich aus dem Bus gestiegen bin, ist mir dieser aus der Hose gefallen. Mir war klar: Er ist weg. Jedoch weit gefehlt: Am nächsten Morgen kommen der Busfahrer und sein Partner an das Waisenhaus, um den IPod abzugeben, den sie gefunden haben. Was in Deutschland nie möglich gewesen wäre und auch niemals passiert wäre, ist hier möglich. Diese ist eine von vielen Situationen, die ein ungeheimes Vertrauen in die Menschen schaffen. Um Besorgte zu beruhigen: Ich passe trotzdem noch auf mich auf 😉
Am Sonntag hören wir einen Vortrag von einem Freiwilligenkoordinator von Artefact über Ruanda. Über meinen Besuch im Dezember konnte ich in erster Linie beängstigende Erfahrungen schildern. Dieser kleine Ausschnitt wird von den Freiwilligen in Ruanda viel intensiver gelebt. Gerade jetzt, wo sich der Genozid zum 20. Mal jährt und der Kongo-Konflikt in Verbindung zur M23-Rebellen Unruhe stiftet, ist das Land absolut instabil. Nach den Erzählungen aller bekommt man das Gefühl, dass dieser wahrliche Polizeistaat kurz vor dem großen Knall ist. Manchmal ist man dann doch froh, in dem friedlichen und ruhigen Tansania zu arbeiten. Im Anschluss behandeln wir den Kongo-Konflikt, welcher starke Auswirkungen auf die Nachbarländer hat. Abends schauen wir den Film Darwins Albtraum. Dieser handelt von der Überfischung des Viktoriasees und seinen Auswirkungen. Meiner Meinung nach ein nicht zu empfehlender Film, jedoch bereitet er uns auf unseren morgigen Ausflug vor: Wir besuchen die kleine Fischerinsel (siehe Bild), die vor Bukoba liegt, und sollen durch den Film theoretisch an die Thematik herangeführt werden – was, wie gesagt, nicht ganz so gut klappt.
Mit einem Fischerboot geht es morgens los Richtung Insel. Auf ihr leben ca. 400 Menschen und X-mal so viele Vögel. Nach einem Gespräch mit dem „Bürgermeister“ der Insel machen wir einen Rundgang. Dieser führt unter anderem durch einen Wald, der winterlich weiß aussieht, was an den Vögeln liegt… Die Kinder, so erzählt der „Bürgermeister“, haben keinen Zugang zur Bildung, außer sie haben Verwandte auf dem Festland. Auch die gesundheitliche Versorgung sei ein riesiges Problem.
Nach dem informativen Besuch geht es zurück nach Bukoba.
Am letzten Tag halten wir für uns noch einmal die Ziele für die kommenden Monate fest. Meine Hauptziele sind vielschichtig. Auf der „persönlichen“ Seite möchte ich weiterhin so viel Motivation und Spaß an der Arbeit und dem Leben hier in Bukoba empfinden. Ein großes Ziel ist zweifelsohne auch die Renovierung des Klassenraumes der Karalo Primary School. Das Seminar hat mir persönlich sehr viel gebracht und kam auch zur richtigen Zeit. Klar denke ich manchmal über Deutschland nach und ich vermisse es ein wenig. Jedoch ist dieses Jahr eine unglaubliche Bereicherung für mich. Es war (bis jetzt und auch weiterhin) die richtige Entscheidung, diesen Schritt in eine fremde Kultur zu gehen, nicht direkt zu studieren, sondern mich erst einmal sozial in einer NGO zu engagieren.